Unglücksbahn: Nach wie vor schwere Mängel

Im Juli starb eine Frau aus Pakistan auf der Rodelbahn in Interlaken. Eine Stichprobe des Gesundheitstipp zeigt jetzt: Die Sicherheit der Bahn weist nach wie vor grosse Lücken auf.

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Gesundheitstipp 09/2010

12.09.2010

Letzte Aktualisierung:
14.09.2010

Christian Egg

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Die Heimwehfluh-Rodelbahn in Interlaken BE machte im Juli traurige Schlagzeilen: Eine junge Mutter aus Pakistan verunfallte tödlich. Die Gurten hatten sich während der Fahrt gelöst. Die Frau wurde aus dem Schlitten geschleudert und verletzte sich schwer am Kopf.

Kurz darauf starb sie im Spital. Die Betreiber der Bahn bestritten jede Schuld. Die Schweizer Kontrollstelle IKSS prüfte die Bahn und gab sie wenige Tage später wieder für den Betrieb frei. Jetzt zeigt ein Test des Gesundheitstipp: Die Bahn hat noch immer erhebliche Mängel.

Durchgeführt hat den Test Rodelbahn-Experte Peter Hofer vom deutschen Prüfinstitut Tüv Süd. Er stellte fest: Noch immer stehen Hindernisse zu nahe an der Bahn. Hofer: «Bei einem Felsbrocken sowie einem Baum ist der Abstand zu klein.»

Zudem fehlt bei beiden Hindernissen ein Polster. Einige Baumstämme sind zwar gepolstert – mit Schaumstoff, der gerade mal 1 Zentimeter dick ist. Hofer: «Dies bietet keinen wirksamen Schutz vor Verletzungen.»

«Puffer sind zu dünn – und schützen kaum»

In der Schweiz gibt es keine Vorschriften für Rodelbahnen. Tüv-Experte Hofer hielt sich deshalb an die Richtlinien, die für Bahnen in Deutschland und Österreich gelten. Diese schreiben vor, dass die Sichtweite während der Fahrt jederzeit mindestens 25 Meter betragen müsse.

Das ist bei der Heimwehfluhbahn an mehreren Stellen nicht der Fall: Hinter steilen Kurven verschwindet die Bahn im abschüssigen Wald. Doch die IKSS rügte diesen Mangel nicht. Auch der Zustand der Schlitten weckt Zweifel, dass die IKSS die Bahn gründlich kontrollierte.

So haben die Schlitten nur sehr dünne Gummipuffer. Hofer: «Bei einem Auffahrunfall schützen sie kaum vor Verletzungen. Es gibt heute viel grössere, wirksamere Puffer.» Die automatische Bremse der Schlitten ist laut Hofer viel zu schwach eingestellt. Sie sollte wirken, wenn man den Hebel loslässt.

Wird der Fahrer unterwegs ohnmächtig, sollte der Schlitten von alleine zum Stillstand kommen. Nicht so bei der Heimwehfluhbahn: «Lässt man den Hebel los, bremst der Schlitten kaum und bleibt erst am Ende der Bahn stehen», so Experte Hofer.

Insgesamt erhält die Bahn die Note 3,4 und damit das Urteil «ungenügend» (siehe Tabelle im pdf-Artikel). Sie schneidet damit nur wenig besser ab als vor einem Jahr. Damals nahm der Gesundheitstipp zehn Rodelbahnen unter die Lupe. Mit der Note 2,9 landete die Heimwehfluhbahn auf dem zweitletzten Platz.

Immerhin: Im Gegensatz zu 2009 gab das Personal am Start dieses Mal den Testpersonen detaillierte Anweisungen. Eine Testperson hatte zudem eine Jacke um den Bauch gebunden. Das ist gefährlich, weil lose Kleider während der Fahrt unter den Schlitten geraten können. Der Angestellte erkannte das Risiko und forderte die Testperson auf, die Jacke anzuziehen.

Die Heimwehfluhbahn will an den Schlitten «Anpassungen» vornehmen. Zudem werde die Zieleinfahrt nach Saisonende «optimiert», schreibt Geschäftsführer David Tschanz dem Gesundheitstipp.

Er scheint nicht zu wissen, dass seine Schlitten automatische Bremsen haben: Es bremse nur «der Benutzer selber». Im Übrigen beruft sich Tschanz auf die IKSS. Sie habe festgestellt, dass die Bahn «grundsätzlich korrekt unterhalten und betrieben» werde, der Zustand «grundsätzlich in Ordnung» sei.

Die Kontrollstelle des Interkantonalen Konkordats für Seilbahnen und Skilifte (IKSS) überwacht im Auftrag der Kantone die Sicherheit von Seilbahnen und Skiliften. Sie finanziert sich durch Gebühren der Seilbahnbetreiber. Für Rodelbahnen jedoch ist eine Überprüfung in vielen Kantonen freiwillig.

IKSS-Direktor Reto Canale kommentiert die festgestellten Mängel an der Heimwehfluh-Rodelbahn wie folgt: Die vom Tüv Süd angewandten Richtlinien könnten «nicht zwingend vorgeschrieben werden». Wenn einzelne Punkte nicht erfüllt seien, «muss dies nicht automatisch bedeuten, dass eine Anlage nicht sicher ist».

Verunfallter Tourist fordert Schadenersatz

Vor dem Unfall im Juli gab es mindestens ein weiteres schweres Unglück auf dieser Rodelbahn: 2008 fuhr ein Tourist aus Israel auf den vor ihm fahrenden Rodel auf. Er erlitt eine tiefe Kopfwunde und ist seither zu 10 Prozent invalid. Vor Gericht fordert er nun 39 000 Franken Genugtuung und Schadenersatz.

Gegenüber der «Berner Zeitung» spielte Tschanz diesen Unfall herunter: Es habe «bloss leichte Verletzungen gegeben», eine Hospitalisierung sei nicht nötig gewesen. Tatsache ist: Die Wunde musste mit elf Stichen im Spital Interlaken genäht werden.

Wie schon bei der pakistanischen Frau behauptet Tschanz jetzt, das Opfer «ist unterwegs ausgestiegen und hat sich dabei wahrscheinlich verletzt». Er sehe dem Prozess «zuversichtlich» entgegen.

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